Es war keine lange Zeit, die ich in einer Wohngemeinschaft verbrachte. Es war gerade einmal ein bisschen mehr als ein halbes Jahr. Aber es war vermutlich, oder ziemlich sicher, eine der besten Zeit meines Lebens.
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Als Judith im Juli 2014 bei mir einzog stand mein Leben Kopf. Mitten in der Ausbildung, vom Freund nach der Weltreise verlassen, ohne Möbel geschweige denn Geld aber dafür mit einer saftigen Mieterhöhung. Kurz gesagt, für mich war es der Moment, wo die Fußspitzen über dem Abgrund ragen und man jeden Moment droht zu fallen. Zurück nach Hause wollte ich nicht, die Bewerbungsgespräche über WG-Gesucht verliefen teilweise katastrophal. Drei Tage vor Monatsersten schrieb ich verzweifelt bei Facebook, dass ich einen Mitbewohner suchte. Judith kommentierte und sie hatte die Wohnung noch nicht mal gesehen da war schon klar, sie würde einziehen. // Judith und ich lernten uns ein paar Jahre zuvor durch gemeinsame Freunde bei Rock im Park kennen. Ich kann mich noch heute daran erinnern, was sie bei unserer ersten Begegnung trug. Vor allem ihre grünen Zehennägel sind mir im Gedächtnis geblieben 😉 man sah sich hin und wieder mal, aber eine richtige Nähe und Freundschaft war das nicht – noch nicht. // Als sie einzog, zog auch endlich wieder Leben in die tristen und leeren Räumen meiner Wohnung. Es war immer was los. Unser kleiner aber feiner Balkon drohte aus allen Nähten zu platzen und ich war Teil einer völlig neuen Clique, die mir aber vorkam, als wäre es nie anders gewesen. Jedes Wochenende war jemand anderes zu Besuch, man kochte und trank gemeinsam. Wenn Judith und ich abends fort gingen teilten wir uns die winzigen – schätzungsweise – vier oder fünf Quadratmeter unseres Bades, nur damit wir gackern und gemeinsam zur Musik tanzen konnten.
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Die Nächte, in denen wir uns ein Bett teilten überwiegte eindeutig. Wenn einer von uns beiden nicht schlafen konnte oder Kummer hatte, schlüpfte man in das Bett des anderen. Wir redeten uns den Schmerz von der Seele, heulten die Kissen des anderen voll und schliefen dann irgendwann doch schluchzend aber festgehalten ein. Natürlich gab es auch die schönen Sleepover im Nachbarzimmer. Das waren diese, in denen man zum Beispiel betrunken Karussell fuhr und das mit dem anderen teilen wollte. // In einer Nacht kam ich betrunken von einer Hochzeit nach Hause, konnte mich kaum auf den Beinen halten und Judith empfing mich. Am nächsten Morgen wachte ich frisch geduscht und in einem von Judiths Pullovern in meinem Zimmer auf – mit mächtigen Kater, versteht sich. Als ich die Tür öffnete und sie im Wohnzimmer saß, brachen wir in schallendes Gelächter aus. Passiert, gehört dazu… // Montage waren immer ‚unsere Tage‘. Da kochten wir gemeinsam, kauften ein bis zwei Flaschen Wein und saßen in unserem Wohnzimmer, rauchten, tranken und sangen gemeinsam. Wenn wir putzten oder aufräumten rockten wir – zum Leidwesen unserer Nachbarn – lautstark zu Panic at the disco. uuuuups, sorry not sorry!
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Wir hatten manchmal die lustigsten und verrücktesten Einfälle. Wir trafen uns mitten in der Nacht in der Küche, weil wir beide nicht schlafen konnten und kochten Milchreis. Saßen nächtelang vorm Fernseher und schauten American Horror Story. Oder wir wussten mit unserem Abend nichts anzufangen und fassten innerhalb von einer halben Stunde den Entschluss, mit dem Zug nach Parsberg zu „Tanz ins Glück“ zu fahren. Viel zu dünn angezogen und eigentlich total pleite. Aber Hauptsache wir kratzten unser letztes Geld für das Ticket zusammen und hatten sogar noch ein bisschen was für den ein oder anderen Kurzen übrig. Dann sitzt man im Zug, hört gemeinsam Musik und tanzt durchs Abteil, weil um die Uhrzeit keiner mehr nach Parsberg fährt. Dann hält man kurz Inne, schüttelt den Kopf weil das alles eigentlich so absurd ist und fängt dann wieder zum Lachen und tanzen an. Bis heute bereuen wir diesen Entschluss nicht. Es war eine der tollsten und verrücktesten Nächte, die wir gemeinsam hatten. Die jetzt ein Teil von uns ist! ♥
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Manchmal wache ich nachts auf. Bin noch irgendwo in meinen Träumen gefangen, kann aber auch nicht mehr einschlafen. Völlig verschlafen setze ich mich an den Rand meines Bettes, will zum Handy greifen und Judith schreiben ob sie noch wach ist, ob ich rüber kommen darf. Bis mir einfällt, dass das hier ja meine Wohnung ist. Meine, ganz alleine für mich. Dass da niemand nebenan möglicherweise noch fern sieht oder Musik hört. Dann verkrieche ich mich wieder in mein Bett und ziehe die Decke bis unter die Nase und zähle so lange Schäfchen bis ich entnervt doch mal einschlafe. // Es sind die kleinen, banalen Dinge, die in mir immer wieder ein Gefühl der Traurigkeit hervorruft, manchmal auch ganz fürchterlich von Heimweh geprägt. Heimweh nach unserer WG. Ich sehe noch alles genau vor mir. Unser zusammengestöpseltes Wohnzimmer mit dem grünen 20er Jahre Samtsofa, dem roten abgeranzten Cocktailsessel. Das hellblaue Buffet. Den 70er Jahre Beistelltisch und unsere Wand, behangen mit Lichterketten und leeren, goldenen Bilderrahmen. Und dann, dann rieche ich auch wieder den vertrauten Geruch, der immer in der Wohnung hing. Eine Mischung aus frisch gewaschener Wäsche, Cerutti 1881, Kerzenwachs und anderen Dingen. Ein Geruch der mir sagte „Ich bin zuhause.“ // Manchmal bin ich irgendwo und mir steigt genau dieser Duft in die Nase. Das ist der Moment, in dem ich mir wünsche die Zeit nochmal auf vor zwei Jahren zurückzudrehen. Der Moment, in dem ich ganz fürchterliches Heimweh bekomme…
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ganz wunderbar geschrieben! xx lori
Hallo Leni, das hast Du sensationell geschrieben. Das ist mir wirklich und wahrhaftig ans Herz gegangen. Ich hoffe sehr, dass Du mit Judith immernoch befreundet bist. Sie scheint eine coole Frau zu sein. So wie Du. viele liebe Grüße, Irene
Oh ja, das ist sie und ja, ich darf sie Gott sei dank immer noch zu meinen Freundinnen zählen 🙂
Wie schön de Beitrag geschrieben ist! Gänsehaut pur. Wirklich richtig gut!